04 September, 2017

Mein Leben als Hasenfuß

Ja, stimmt: ich überwinde regelmäßig in Kletterhallen und Hochseilgärten eine durchschnittlich ausgeprägte Höhenangt, mein Motto bei Achterbahnen lautet "Gib mir schneller!", und letztens bin ich aus einem Flugzeug gesprungen*. Irgendwann in näherer Zukunft werde ich einen ehemaligen Getreidesilo hochklettern, obwohl mir beim bloßen Anblick des Videos die Hände feucht werden. Das meiste macht mir Spaß, aber manche Dinge mache ich einfach nur, um mir zu beweisen, daß ich kein Angsthase bin. Warum muss ich das?

Weil ich ansonsten die größte Memme wäre, die je auf dieser Erde wandelte. Und jetzt reden wir hier nicht mehr von Dingen, bei denen der Überlebensinstinkt aufschreit ("Fresse halten, ich mach das jetzt.", s. o.). Wir reden hier von Game of Thrones, die Serie.

5 Staffeln lang habe ich mich zurückgelehnt und konnte es ganz entspannt gucken. Da wusste ich nämlich als Leserin der Bücher schon vorab, was mich erwartet. Wann wer enthauptet, vergiftet, auf dem Donnerbalken erstochen oder auf anderem Wege um die Ecke gebracht wird, wann die großen Schocker passieren und wann ich auch anderweitig mein puddingweiches Herz (don’t tell anyone) stählen musste. Aber weil George R. R. Martin das Schreibtempo meines Chefs (dessen 4-Finger-System deutlich  langsamer ist als meins mit meinen 2,5) nochmal unterbietet, hat die Serie die Bücher mittlerweile überholt, und ab Staffel 6 war ich den Schreibern und ihren kranken, sadistischen Launen genauso schutzlos ausgesetzt wie all die armen Nichtleser in den Staffeln zuvor auch. Und ich komme nicht umhin zu fragen: wie konntet Ihr das jahrelang gucken ohne regelmäßige Herzstillstände?! Seid Ihr alle tot innendrin?!

Immerhin: 5 Folgen habe ich durchgehalten. 5 Folgen à 50+ Minuten, in denen ich jederzeit damit gerechnet hatte, daß JETZT! oder JETZT! oder JETZT! von irgendwoher ein Schwert angesaust kommt oder ein Pfeil oder sonst ein Meuchelinstrument und mich zerstört. Und besorgt hat’s mir dann letztendlich die Folge mit der Tür. Da war für mich Schluss, finito, ¡basta!, non Monsieur! Das war Mai 2016. Seitdem komme ich UM vor Neugierde! Und seit die 7. Staffel angefangen hat (und mittlerweile schon wieder beendet ist) müsste ich eigentlich außerhalb meiner 4 Wände nur noch mit Fingern in den Ohren und laut "LALALALALA“-singend durch das Leben ziehen, um nicht gespoilert zu werden.


Aber ich kann, ich KANN es einfach nicht alleine gucken. Ja, absolut jämmerlich, ich weiß. Und es ist ja noch nicht mal so, daß ich eine Hand zum Drücken oder eine Schulter zum Heulen bräuchte- ich bin schließlich kein Mädchen, nuh-uh! Ich bräuchte ja lediglich jemanden, der mir am Ende einer Folge sagt: Schätzelein, es ist nicht echt. Der mir mit der einen Hand ein Taschentuch hinhält und mit der anderen eine Packung mit gelben M&Ms (farblich sortiert wäre toll), und mich, falls alle Stricke reißen, wieder in die Realität zurückohrfeigt. Wobei das mit der Ohrfeige eher bildlich gemeint ist- die Drohung, mein verheultes Gesicht zu fotografieren und zu veröffentlichen dürfte vollkommen ausreichen. Nur, wo kriegt man so jemanden? "Alleinstehende Frau sucht emotionalen Beistand bei Game of Thrones“, nicht auszudenken wer sich auf so eine Annonce melden würde. Das würde sich höchstens als Sozialexperiment eignen, aber auch dann nur mit Muskelbackup im Nebenraum. Ich habe mal von Helferaffen gehört, habe diesen Gedanken aber nach reiflicher Überlegung doch wieder verworfen- ich möchte nur ungern mit Affenkot beworfen werden, und möglicherweise müsste ich die M&Ms mit denen teilen. Geht gar nicht. Valium wäre auch eine Möglichkeit, aber- nee.

Aber wer weiß? Vielleicht wachsen mir irgendwann mal Eier. Vielleicht heule ich irgendwann mal nicht mehr bei jedem Scheissdreck auf einer Leinwand rum, der von Violinen untermalt wird (diese Serienmacher kämpfen dreckig, ich sag’s Euch!). Und vielleicht ist es ja auch Übungssache; vielleicht kann man, ich nenne es mal "Gefühlsabsterbung“ trainieren! In der Hoffnung habe ich es zumindest fertiggebracht, gestern Abend Orphan Black zu Ende zu gucken. Ganz allein, wie die erwachsene Frau, die ich laut Personalausweis bin. Ich habe Taschentücher vollgerotzt und fand es tatsächlich auch ganz angenehm, dabei kein Publikum zu haben. Also in sofern… ich mag zwar noch immer nicht bereit für GoT sein, aber eine leichte Steigerung meine ich vermelden zu können.


* "ich bin aus einem Flugzeug gesprungen“ hört sich so viel besser an als "ich habe Geld dafür bezahlt, daß mich jemand vor sich auf den Bauch schnallt und mich dann aus einem Flugzeug schubst, während mein Hirn zu sehr mit Panik schieben beschäftigt war um zu protestieren“.

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